Kolumne: Trackhouse Team der Saison
Kolumne: Trackhouse Team der Saison, Logano verdienter Champion
Das „Wundertüten“-Jahr der NASCAR Cup Series 2022 hatte einiges zu bieten – Alessandro Righi lässt die Saison, in der Trackhouse Racing nur haarscharf die ganz große Sensation verpasste, Revue passieren
Die NASCAR Cup Series hatte 2022 so einiges zu bieten. Von einem Cup-Rookie-Sieger beim Daytona 500, über ein Next-Gen-Auto, das den „Jungspunden“ klar entgegenkam und die Veteranen fast schon entzauberte, hin zu einem Finale, in dem dann aber doch die Erfahrung des 32-jährigen Joey Logano für seinen zweiten Cup-Titel sorgte.

Die Saison 2022 war aber nicht nur aufgrund ihrer Spannung und der Anzahl der verschiedenen Rennsieger eine für die Geschichtsbücher. Denn Trackhouse Racing bot reichlich Gesprächsstoff, mit Ross Chastain verpasste man zwar um 1,3 Sekunden den Titel, krönte sich aber in einer fabelhaften Saison zum Vize-Champion in der Fahrerwertung und zum Team der Saison.

Doch drehen wir bei aller Sympathie zum „Underdog“ Trackhouse Racing zunächst die Uhr der Zeit auf den Jahresbeginn 2022 zurück. Vom 4. bis 6. Januar fand der Reifentest in Atlanta statt, eine Woche später wurde das Superspeedway Package in Daytona finalisiert. Am 25. und 26. Januar fand der letzte Test der Preseason in Phoenix statt, ehe die Cup-Piloten zum ersten Mal in einem tatsächlichen Rennen den Next-Gen-Boliden am 6. Februar im L.A. Coliseum im Rahmen des Bush Light Clash’s fuhren.

Das Ergebnis: Logano (Team Penske) ging beim Einstand des temporären Super-Short-Tracks – die Anlage wird während der Football-Zeit vom Division-I-College-Team USC Trojans genutzt – als Sieger hervor. In Daytona angelangt, stellte das von Roush Fenway zu RFK Racing umbenannte Ford-Team in den beiden Duel-Rennen die Victory-Lane-Besucher: Brad Keselowski und Chris Buescher. 

Weil drei Siege für Ford nicht reichten, setzte „NASCAR Rookie of the Year“ Austin Cindric am Geburtstag von Roger Penske dem ganzen einen obendrauf und holte beim ersten Punkterennen der Saison zum Daytona-500-Sieg aus. Was zu dem Zeitpunkt wohl keiner ahnen konnte: Buescher und Cindric lösten mit ihren Erfolgen eine Welle der U30-Sieger aus.

Denn bis einschließlich zum GEICO 500 in Talladega waren acht der zehn Victory-Lane-Besucher zu dem Zeitpunkt keine 30 Jahre alt. Nur Kyle Busch und Denny Hamlin (beide 2022 für JGR unterwegs) schienen in der frühen Phase der Saison die Fahne für die Alteingesessenen so halbwegs in die Höhe halten zu können.

Einer, der in der frühen Phase der Saison besonders hervorstach und dessen Raketenaufstieg in dieser Form vielleicht nur eine Handvoll Fans auf dem Zettel gehabt hat, war Ross Chastain. Der „Watermelon Man“, der seine ersten NASCAR-Schritte 2011 im nicht mehr existenten Truck-Hinterbänkler-Team Turno One Racing als Teamkollege von seinem späteren Chef Justin Marks machte, erlebte einen regelrechten Höhenflug. 

Denn Chastain hatte nach dem zehnten Punkterennen mit den Siegen in Austin und Talladega bereits das Playoff-Ticket sicher und war nach William Byron (Hendrick Motorsports) der zweite Pilot im Feld, der zwei Saisonläufe gewann. Siegen konnte aber nicht nur Chastain.

Auch Teamkollege Suarez, der seit dem Beginn der Saison 2021 bei Trackhouse Racing an Bord ist und im selbigen Jahr zu vier Top-Ten-Ergebnissen ausholte, feierte in der Saison 2022 in seinem 196. Cup-Start in Sonoma seinen lang ersehnten ersten Sieg und schrieb Geschichte.

Denn der Xfinity-Champion von 2016 war der erste in Mexiko geborene Pilot, der ein Cup-Rennen gewann. Damit unterstrich der Sympathieträger aus Monterrey, dessen „bessere Hälfte“ Julia Piquet, die Tochter von Nelson Piquet, ist, die erfolgreiche Arbeit des blutjungen Rennstalls. 

Pünktlich zum Wechsel von Fox auf NBC standen also beide Trackhouse-Chevrolets in den Playoffs. Wer im Wettbüro darauf gesetzt hätte, hätte wohl den ein oder anderen Dollar nach Hause gebracht. Allerdings verlief bis zum Playoff-Start (und für ein Rennen darüber hinaus) für das Team von Justin Marks und Sänger Pitbull nicht alles wie im Motorsport-Märchen. 

Denn vom 21. Saisonlauf in Pocono bis einschließlich dem Playoff-Auftakt in Darlington (Rennen 27), fuhr Chastain kein einziges Mal in die Top 15, Suarez verhinderte zumindest die komplette Katastrophe und erreichte zwei Top-5-Ergebnisse. Auch der einfache Formel-1-Weltmeister Kimi Räikkönen, der für das Watkins-Glen-Rennen in den Trackhouse-Chevy mit der Startnummer 91 stieg, konnte durch den Ausfall die erschreckende Bilanz nicht aufpolieren.

War es das also nach den mageren Resultaten mit dem Höhenflug von Trackhouse Racing? Die Antwort war eindeutig. Nein. Denn sowohl Chastain als auch Suarez waren nicht nur Teil des Playoff-Feldes, sondern überstanden auch die erste Runde („Round of 16“).

Die Titelreise endete allerdings für Suarez, der 2022 auch das All-Star Open für sich entschied, nach dem „Round of 12“-Finale auf dem Roval-Layout von Charlotte. Aber: Der Mexikaner qualifizierte sich 2022 nicht nur zum ersten Mal überhaupt für die Playoffs, sondern schloss die Saison auf dem Gesamtrang zehn ab und erzielte damit persönliche Bestleistung.

Die Titelhoffnungen von Trackhouse Racing ruhten fortan auf Chastain. Und die kommende „Round of 8“ sparte nicht mit Spannung und Drama. Zunächst knackte Champion Logano in der Schlussphase von Las Vegas Leader Chastain und löste damit das sichere Final-Ticket. In Homestead-Miami dominierte der aus den Playoffs ausgeschiedene Titelverteidiger Kyle Larson (Hendrick Motorsports) nach Belieben und sorgte damit für einen klassischen Spoiler-Sieg. 

Die Entscheidung, welche drei Piloten zusammen mit Logano das Finalrennen in Phoenix im Kampf um den Titel austragen würden, fiel in Martinsville. Christopher Bell (Joe Gibbs Racing), nach dem Charlotte-Roval-Lauf erneut unter Zugzwang, siegte. Damit waren nur mehr zwei Plätze offen. Chase Elliott (Hendrick Motorsports) langte bei Zielankunft ein zehnter Platz.

Der Showdown zwischen Hamlin und Chastain war aufgrund des Siegs von Bell unausweichlich. Man könnte es fast schon als „The Move“, als Anlehnung an den berühmten „The Pass“, betiteln. Es war die letzte Runde. Hamlin (5) lag vor Chastain (10), der Trackhouse-Pilot musste sich allerdings verbessern, um den JGR-Kontrahenten aus den Playoffs zu werfen.

Gesagt, getan. Chastain nutzte in den Kurven 3 und 4 die SAFER-Barrier als Leitpfad und donnerte mit Vollgas auf die Start/Ziel-Gerade. Dass dabei die rechte Fahrzeugseite nicht nur Lackschäden davon trug, dürfte ihn herzlich wenig interessiert haben.

Um eine halbe Wagenlänge schlug Chastain Hamlin auf der Linie. Einfach nur spektakulär. Chastain, ein Wassermelonen-Farmer in siebter Generation, der wenige Jahre zuvor eigentlich auf dem NASCAR-Abstellgleis stand, hatte tatsächlich Chancen auf den Cup-Titel.

Das Manöver wurde natürlich in den sozialen Medien breit diskutiert. War es regelkonform oder nicht? Fakt war: Chastain stand im Finale, zusammen mit Logano, Bell und Elliott.

Logano war mit 32 Jahren der älteste Pilot, Bell war zu dem Zeitpunkt 27, Elliott noch 26 und Chastain 29. Doch: Für Logano war 2022, rechnet man die drei Starts 2008 dazu, bereits die 15. Cup-Saison und der insgesamt 504. Start.

Ein Veteran gegen drei angriffslustige U30-Piloten. Aber die Show bestimmte eben Pole-Setter Logano. Doch etablierte sich der jüngste Cup-Laufsieger aller Zeiten während der Saison nicht als Titelfavorit, gehörte die Rolle doch dem Regular-Season-Champion Elliott, der fünf von 36 Rennen über die Saison hinweg gewann.

Aber Logano hatte einen Vorteil: Die Erfahrung. Denn für den Penske-Fahrer aus Connecticut war es bereits die fünfte „Final Four“-Teilnahme seit 2014. Im Jahr 2018 behauptete sich der Veteran im Homestead-Miami-Finale gegen Kyle Busch, Kevin Harvick und Titelverteidiger Martin Truex Jr. Für Elliott war es hingegen bereits die dritte Final-Teilnahme, Bell und Chastain wurde im Cup zum ersten Mal die Ehre zuteil.

Logano qualifizierte sich nach den Siegen beim Darlington-I-Rennen und der Gateway-Premiere mit insgesamt zwölf Top-Ten-Ergebnissen nach 26 Regular-Season-Rennen für die Playoffs. Ins Finale hangelte sich der Penske-Fahrer unter anderem mit einem vierten Platz beim Darlington-II-Rennen und einem Runner-Up in Texas, der Las-Vegas-Sieg in der letzten Eliminationsstufe besiegelte schließlich das Ticket für Phoenix.

Fast schon gelassen dominierte Logano beim alles entscheidenden Finale in Phoenix das Geschehen, 187 der 312 Runden führte der 31-fache Laufsieger an und war nicht nur im Qualifying der Schnellste, sondern entschied auch Stage 1 für sich. Dass der Sieg fast schon unausweichlich war, auch weil Teamkollege Blaney auf Platz zwei liegend reichlich Schützenhilfe leistete, war nur mehr Formsache.

Hingegen erlebte Regular-Season-Champion Elliott ein enttäuschendes Finale. Denn bei einem Restart geriet der Hendrick-Pilot mit Chastain aneinander und touchierte die SAFER-Barrier – genug, um die Startnummer 9 aus dem Titelgeschäft zu nehmen. Bell konnte zwar Logano nicht gefährden, muss man aber Joe Gibbs Racing beim Phoenix-Finale eines zugutehalten: Nach dem plötzlichen Ableben von Coy Gibbs, dem Vater von Xfinity-Champion Ty Gibbs, trotzte die Truppe den schwierigen Minuten und Stunden und platzierte immerhin drei der vier JGR-Toyotas unter den besten Zehn. 

Den zweiten großen Titel-Upset binnen fünf Jahren, wir erinnern uns alle an den Meister-Titel von Truex im Furniture-Row-Toyota 2017, verpasste Chastain im Zielsprint hingegen nur um knappe 1,3 Sekunden. Und das nach fast 13.000 Meilen Renndistanz in den 36 Punkterennen. Doch durfte Chastain erhobenen Hauptes die Saison besiegeln, krönte sich der Mann aus Alva, Florida, doch zum Vize-Champion.

Und: In der Statistik war Chastain jener Pilot mit den meisten Top-5- (15) und Top-Ten-Ergebnissen (21). Im Zielschnitt musste sich der Trackhouse-Pilot nur Elliott mit 13,3 zu 12,5 geschlagen geben.

Für Logano, auch wenn er zum zweiten Mal Meister wurde, war die Saison in puncto Zahlen keine für die Geschichtsbücher. Zwar gelangen ihm vier Siege – nur 2015 (6) und 2014 (5) hatte er mehr – sprangen aber bei den Top-5-Ergebnisse nur elf an der Zahl heraus. Die Top-Ten-Resultate liegen immerhin bei 17, das durchschnittliche Ergebnis bei 13,5. Vergleichbar schlechte Zahlen als Meister hatte zuletzt Jimmie Johnson im Jahr 2016.